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Politik

Zum Tod eines Uneinsichtigen

Filbinger ist tot. Es wäre nicht recht, ihm ins Grab Schmähungen nachzurufen. Wir beschränken uns im Wesentlichen auf das, was schon zum neunzigsten Geburtstag zu sagen war.
Überraschend viele hatten sich in Freiburg am 14. September versammelt, nicht nur, um der Demonstration gegen den NPD-Aufmarsch im Vorjahr zu gedenken. Mehr noch, um Filbingers geplatzten Empfang zum neunzigsten Geburtstag zu feiern. Unter massivem Druck hatten OB Salomon und die Fraktionen von GRÜNEN und SPD den geschätzten Jubilar wieder ausgeladen. Zur Erinnerung für Jüngere: Filbinger ist nicht nur der Mann, der als Vorläufer Teufels eine völlig überflüssige Gebietsreform durchboxte. Er ist auch nicht nur der, der ohne ein KKW in Wyhl nicht mehr leben wollte. Auch nicht nur der, der als Oberdemokrat in vielen Berufsverbotsverfahren die Demokratiefähigkeit seiner staatlichen Angestellten überprüfte. Unsterblich geworden ist er vor allem als der Marinerichter, der nicht nur- wie viele- brutale Urteile gefällt hatte, sondern diese auch noch dreißig Jahre später mit Felsenstirn verteidigte. Peinlich, auf einem Neunzigjährigen herumzuhacken, wenn man selbst nicht mehr der frischeste ist.Das wäre es wirklich, wenn Filbinger mit seinen Ansichten allein stünde. Tatsächlich steht er stellvertretend für eine ganze Gruppe, die sich stur an den Gesetzesbuchstaben klammert. Was in einer bestimmten Epoche von den Oberen so geregelt worden ist, daran gibt es nichts zu deuteln. Es wird exekutiert. Filbinger war kein Freisler.Nicht mit Schaum vor dem Mund wie der Vorsitzende des Volksgerichtshofs sprach er seine Urteile. Er war zeitlebens Anbeter der Macht, der estehenden Verhältnisse und des Tretens der Schwachen. Ohne weitere emotionale Zutaten. Und gerade deshalb ist er —von heute aus gesehen- für die gegenwärtigen Verhältnisse gefährlicher als ein Freisler. Freisler hätte nie den Übergang vom Faschismus zur Obrigkeitsdemokratie nach 45 so wunderbar hinbekommen wie ein Filbinger. Gerade er —in seiner Selbstgerechtigkeit- steht für die Wahnidee, im so genannten Dritten Reich sei zwar einiges oberflächlich in Unordnung geraten, die Kernsubstanz des Rechts aber unverändert bewahrt worden. Gerade mit dieser Haltung erzwang er die Unterwerfung unter das Recht , das er sich und seinesgleichen zubilligte.
Er war wahrscheinlich wirklich kein Vollblutnazi, wenn man die Maßstäbe Himmlers und Rosenbergs anlegt. Er war etwas fast Gefährlicheres: ein Marinefanatiker. Und Konterrevolutionär. Mit ewiger Angst, der Matrosenaufstand von 1918 könne sich wiederholen. Und die Revolution doch noch kommen. Filbinger war Erbe der besonders in der Marine vertretenen Vorstellung vom Kampf bis zum letzten Mann, von Meuterei auf hoher See als himmelschreiendem Verbrechen und vom besonderen Auftrag der Marine, das Vaterland zu schützen.
Bis 1923 gab es mehrere Prozesse, um gemäß dem Versailler Vertrag Kriegsverbrechen zu untersuchen. Wie zu erwarten, wurden alle Angriffe von U-Booten ohne die Rettung Schiffbrüchiger gerechtfertigt. Am Ende gab es eine einzige Verurteilung gegen eine untergeordnete Charge. Canaris war bei den Vertuschungen auch beteiligt. Wenn man die Protokolle dieser Verhandlungen liest, wird einem klar, woher Filbinger seine Selbstgerechtigkeit bezog und seine Urteilsfestigkeit noch über die Kapitulation hinaus. Im Seekrieg sah er sein Ideal verkörpert: Härte gegen den Feind. Zu diesem Zweck erst einmal: Härte gegen die eigenen Unergebenen. Flaumacher, Drückeberger —was auch immer. Deshalb noch einmal: Filbinger war kein Nazi, wenn es um das Arsenal von Überzeugungen ging. Dafür hielt er sich zu viel Reinhold Schneider (heimlich unter der Bettdecke gelesen) und katholische Restbestände. Aber er war von der Sorte, ohne die die Nazis niemals zwölf Jahre ihre Herrschaft hätten behaupten können. Er exekutierte bedenkenlos den Willen einer jeden Obrigkeit, die er vorfand. Als er selbst Obrigkeit wurde, erwartete er entsprechendes. Solche sind die Gefährlichsten. Überzeugungen lassen sich ändern. Haltungen fast nie. Erstarrungen sind für immer.
Quelle: stattweb.de
AutorIn: fg

16.03.2011

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