Rubrikübersicht | Impressum | 16. April 2024


Leserbriefe

Belarus Folter und Willkür dürfen nicht straffrei bleiben

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Nach dem jüngsten Vorgehen der belarussischen Behörden gegen unabhängige Medien weist Reporter ohne Grenzen (RSF) erneut auf den dramatischen Verfall der Pressefreiheit in Belarus hin. Am 20. Oktober waren die Redaktion und die Wohnungen von zwei Mitarbeitenden der politischen Wochenzeitung Nowy Tschas durchsucht worden. Seit der gefälschten und international nicht anerkannten Wiederwahl von Alexander Lukaschenko sind etwa 500 Medienschaffende kurzzeitig festgenommen worden, 29 sitzen im Gefängnis. Etliche weitere sind aufgrund der anhaltenden Repressionen ins Ausland geflohen.

„In Belarus ist heute niemand mehr sicher, der oder die sich auch nur einen Zentimeter außerhalb der vom Regime vorgegebenen Bahnen bewegt", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Lukaschenko, einer der größten Feinde der Pressefreiheit weltweit, lässt sämtliche Medienschaffende und sogar ihre Familien erbittert verfolgen. Die internationale Gemeinschaft muss sich auf allen Wegen dafür einsetzen, dass diese Verbrechen vor den Toren der EU nicht straffrei bleiben. Dieser Diktator und alle weiteren Verantwortlichen gehören vor Gericht."

Exemplarisch dafür, wie der Staat die unabhängigen Medien unterdrückt, ist tut.by. Das größte und bekannteste belarussische Nachrichtenportal musste sich seit Jahren gegen unnachgiebige Repressionen wehren. Am Morgen des 18. Mai 2021 stürmten Sicherheitskräfte die Hauptredaktion in Minsk und die Regionalbüros in den Städten Brest, Gomel, Wizebsk, Mahiljou und Hrodna, beschlagnahmten Material und versiegelten die Räume. Die Domain tut.by, der Mailserver und weitere, mit tut.by zusammenhängende Portale sind seitdem nicht mehr erreichbar.
Chefredakteurin und Mitarbeitende in Haft
Am gleichen Tag durchsuchte die Polizei die Wohnungen von Chefredakteurin Maryna Solatawa und von elf weiteren Journalistinnen und Journalisten, die in verschiedenen Positionen für tut.by arbeiteten, und beschlagnahmten elektronische Geräte wie Handys oder Computer. In einem Fall ließen die Behörden auch die Wohnung der Eltern einer Mitarbeiterin durchsuchen.

Chefredakteurin Maryna Solatawa und 14 weitere Personen, die zum Zeitpunkt der Durchsuchungen für tut.by arbeiteten oder in der Vergangenheit gearbeitet hatten, sitzen seitdem in Haft. Darunter ist mit Julia Tscharniauskaja auch die Witwe von Juri Zisser, der das Portal im Jahr 2000 gegründet hatte. Den Inhaftierten wird vor allem Steuerhinterziehung vorgeworfen. Das Unternehmen habe als Teil des Minsker „High Technology Park" in unzulässiger Weise Einnahmen generiert. Tut.by weist diese Vorwürfe zurück. Anfang Juni stuften die belarussischen Behörden das Medienportal und die zugehörigen Konten in den sozialen Netzwerken als extremistisch ein. Zudem läuft ein Strafverfahren gegen mehrere Mitarbeitende wegen angeblicher Anstiftung zum Hass. Darauf stehen bis zu zwölf Jahre Haft.
Tut.by-Nachfolger ist über Umwege erreichbar
Einige tut.by-Mitarbeitende gründeten Anfang Juli das Nachrichtenportal zerkalo.io. Erklärtes Ziel ist, die Arbeit von tut.by mit den gleichen Ansprüchen an die journalistische Qualität fortzuführen. Zerkalo.io wurde noch am selben Tag von den Behörden gesperrt, ist aber in Belarus über VPN und aus dem Ausland ohne Einschränkungen erreichbar.

Bereits im August 2018 wurden die tut.by-Büros und Wohnungen von Mitarbeitenden gestürmt und durchsucht. Anfang 2019 wurde Chefredakteurin Maryna Solatawa verklagt, im Dezember 2020 verlor die Nachrichtenseite endgültig den Status als Massenmedium. Immer wieder haben die Behörden gedroht, die Seite zu sperren.Wie tut.by folgen auch zerkalo.io in den verschiedenen sozialen Netzwerken mehrere Hunderttausend Menschen. Allerdings nehmen die belarussischen Behörden die Plattformen verstärkt ins Visier, allen voran Telegram. Ein neues Dekret erlaubt es ihnen, Abonnentinnen und Abonnenten eines Telegram-Kanals gerichtlich zu verfolgen, wenn dieser als „extremistisch" eingestuft ist. Das Dekret sieht hierfür bis zu sieben Jahre Haft vor. Derzeit gelten dem Regime in Belarus über 100 Kanäle als extremistisch.
Journalist unter unklaren Umständen in Minsk im Gefängnis
Für zutiefst beunruhigend hält RSF den Fall des belarussischen Journalisten Gennady Mozheiko. Er hatte über einen Schusswechsel in Minsk berichtet, bei dem Ende September ein IT-Spezialist und ein Mitarbeiter des Geheimdienstes KGB ums Leben gekommen waren. Obwohl Mozheikos Artikel für die belarussische Ausgabe der Komsomolskaja Prawda nur wenige Minuten online stand, ließen die Minsker Behörden den Zugriff zur Website sperren und Mozheiko verhaften. Der Journalist war direkt nach Erscheinen des Textes nach Moskau gereist - ob er in der russischen Hauptstadt verhaftet wurde oder nach einer möglicherweise erzwungenen Rückkehr nach Belarus, ist unklar.

Mittlerweile sitzt Gennady Mozheiko in einem Minsker Untersuchungsgefängnis. Wegen „Anstiftung zum Hass" und „Beleidigung eines Mitarbeitenden der Regierung" drohen ihm bis zu zwölf Jahre Haft. Die Komsomolskaja Prawda stellte aus Protest ihre belarussische Ausgabe ein.
Entführter Regimekritiker seit Juni im Hausarrest
RSF setzt sich auch dafür ein, das Schicksal von Roman Protassewitsch (Raman Pratassewitsch) nicht zu vergessen. Der Journalist und Blogger war am 23. Mai in Minsk verhaftet worden, nachdem ein belarussischer Kampfjet den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius umgeleitet hatte, in dem auch Protassewitsch und seine Freundin saßen. Beide stehen seit Juni unter Hausarrest. Protassewitsch hatte den populären Telegram-Kanal Nexta mitgegründet, über den auch Proteste gegen das Regime koordiniert wurden. Zu Beginn seiner Haft wurde er mehrfach öffentlich im Fernsehen vorgeführt, legte ein mutmaßlich erzwungenes Geständnis ab und musste Präsident Lukaschenko „bedingungslosen Respekt" schwören. Spuren an Protassewitschs Körper sowie sein genereller Zustand legten den Verdacht nahe, dass er gefoltert wurde. RSF hat gemeinsam mit sechs weiteren Organisationen die Vereinten Nationen (UN) ersucht, seinen Arrest formell als willkürlich zu erklären. Bereits zwei Tage nach der Entführung hatte RSF nach dem Weltrechtsprinzip in Litauen Strafanzeige gegen Lukaschenko gestellt. Die litauische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.
Bericht zeichnet fast 70 Fälle von Folter nach
Kurz vor dem Jahrestag der gefälschten Wiederwahl Alexander Lukaschenkos am 9. August 2021 haben RSF und die Weltorganisation gegen Folter (OMCT) detailliert nachgezeichnet, wie massiv das Regime seitdem die unabhängige Berichterstattung unterdrückt. Fast 70 Fälle von Folter in den Gefängnissen sind dokumentiert. Darüber hinaus beschreibt der Bericht, wie das Regime die Mediengesetze verschärft hat, und listet auf, wie die Behörden gegen Organisationen und unabhängige Medienhäuser vorgehen. Zuletzt wurde die Belarussische Journalistenvereinigung BAJ am 27. August 2021 per Gerichtsbeschluss aufgelöst. Die langjährige RSF-Partnerorganisation war der einzige unabhängige Verband für Journalistinnen und Reporter in Belarus.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Belarus auf Platz 158 von 180 Staaten.
PM/ROG

Diese Meldung auf der Website: www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/folter-und-willkuer-duerfen-nicht-straffrei-bleiben 

26.10.2021

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