Geheimaufstand der Gauleiter
Das Ziel?
Umwandlung der FDP zur "NS-Kampftruppe".
In
den fünfziger Jahren unterwanderten hochrangige Altnazis systematisch die liberale Partei. Die Verschwörer um Goebbels' einstigen Staatssekretär Werner
Naumann weiteten ihren Einfluss so weit aus, dass die Briten einschritten - in
letzter Sekunde.
Der Bericht war spröde formuliert, doch sein Inhalt war explosiv.
Nach Erkenntnissen der britischen Besatzungsbehörden gab es in Westdeutschland
eine Verschwörung gegen den Staat und die alliierte Autorität im Land - so stand
es in dem amtlichen Kommuniqué aus London, das die deutsche Öffentlichkeit am
15. Januar 1953 überraschte. Demnach planten die "Rädelsführer" einer Gruppe
hochrangiger Altnazis einen radikalen Umsturz - mit noch radikalerem Ziel: die
"Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland".
Der Sensationsmeldung
war in der Nacht zuvor eine Welle von Verhaftungen, Durchsuchungen und
Beschlagnahmungen in der britischen Zone vorausgegangen: In Hamburg, Solingen
und Düsseldorf hatten britische Sicherheitsoffiziere ein halbes Dutzend
Politiker verhaftet und lastwagenweise Aktenmaterial aus ihren Wohnungen
abtransportiert. Die Häftlinge, die ins alliierte Militärgefängnis nach Werl
gebracht wurden, hatten eines gemeinsam: Noch wenige Jahre zuvor waren sie
hochrangige Nazi-Funktionäre gewesen - jetzt agierten sie als Mitglieder der in
Bonn mitregierenden FDP.
Es war einer der spektakulärsten
Unterwanderungsversuche in der deutschen Nachkriegsgeschichte, den die Briten in
dieser Winternacht zerschlagen hatten. Denn die Liste der Verhafteten
beinhaltete ausnahmslos Ex-Nazi-Funktionäre. Von denen hatte die FDP in den
Jahren zuvor viele bereitwillig in ihren Reihen aufgenommen, bis der rechte
Parteiflügel schließlich enorm stark war. So stark, dass eine kleine Zelle von
Verschwörern beschloss, erst die Partei zu kapern - und dann die
Republik.
Pseudoliberales Nazi-Netzwerk Auch
wenn viele ehemalige Funktionäre des NS-Staates auch in anderen Parteien oder
hohen Ämtern der Justiz und Verwaltung unterkommen konnten, war ein solcher
Versuch einmalig. Die Drahtzieher dieses Plans setzten die Briten vor 60 Jahren
fest: den sogenannten "Gauleiter-Kreis" in Nordrhein-Westfalen, dessen
Geschichte der Historiker Kristian Buchna rekonstruiert hat. Schon am Morgen
nach den Verhaftungen veröffentlichten die Briten eine Liste, in der sie die
braune Vergangenheit ihrer Häftlinge fein säuberlich aufgeschlüsselt hatten -
und die den Kreis der Verhafteten als Sammelbecken ehemaliger
NS-Schreibtischkarrieristen entlarvte. Darunter: Reichsstudentenführer Gustav
Adolf Scheel, der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann und der
Rassenwissenschaftler Heinrich Haselmayer.
Besonders großen Einfluss auf
die Gruppe hatte der NRW-Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach, der unter Hitler
die Deportation französischer Juden in Vernichtungslager mitorganisiert hatte.
Er strickte nun an Rhein und Ruhr ein FDP-Netzwerk brauner Kameraden und hatte
eigens einen Ausschuss gebildet, um über die liberale Regierungspartei eine
Generalamnestie für alle NS-Verbrecher zu erreichen. Anführer der Gruppe war
jedoch ein gewisser Werner Naumann, letzter Staatssekretär und rechte Hand von
Hitlers Chefpropagandist Joseph Goebbels.
Naumann hatte noch im März 1945
in Propagandareden die Kapitulation vehement abgelehnt und gegen "jüdische
Gangster" gewettert. In den letzten Kriegstagen gehörte er zum letzten
Führungszirkel des untergehenden Reichs in Berlin, wo er auf Hitlers Wunsch hin
das Propagandaministerium übernehmen sollte. Nach dem Krieg tauchte er fünf
Jahre lang in Süddeutschland unter, bis ein Amnestiegesetz ihm Anfang 1950 die
Rückkehr aus dem Untergrund ermöglichte. Prompt reaktivierte Naumann Hunderte
politische Kontakte aus seiner Zeit als Goebbels'
Staatssekretär.
"Sie sollen in die FDP eintreten und ihre Führung
in die Hand nehmen"Zusammen mit Ernst Achenbach heckte er
daraufhin Pläne für eine erneute "Machtergreifung" aus, denn laut Historiker
Wolfgang Wippermann hatten er und seine Mitverschwörer ein ambitioniertes Ziel:
die Wiederbelebung Nazideutschlands. Um den Nationalsozialisten "einen Einfluss
auf das politische Geschehen zu ermöglichen", so notierte Naumann im August
1950, "sollen sie in die FDP eintreten, sie unterwandern und ihre Führung in die
Hand nehmen". Und Naumann hatte dieses Ziel fast erreicht, als er gut zwei Jahre
später vor Parteigenossen in Hamburg über seine Pläne schwadronierte: "Ob man
eine liberale Partei am Ende in eine NS-Kampftruppe umwandeln kann, möchte ich
bezweifeln", sagte er, "wir müssen es aber auf einen Versuch ankommen
lassen."
Und sie ließen es darauf ankommen.
Der braune
Revolutionsversuch begann am 20. November 1952. Auf dem richtungsweisenden
Bundesparteitag der Liberalen in Bad Ems sollte der nordrhein-westfälische
FDP-Chef und spätere Verleger Friedrich Middelhauve gegen das moderate "Liberale
Manifest" das nationalistische "Deutsche Programm" durchsetzen. Unter anderem
enthielt es ein Bekenntnis zum Deutschen Reich, eine Abkehr von den Urteilen der
Alliierten, mit denen "unser Soldatentum diskriminiert werden" sollte, und einen
Passus, in dem festgestellt wird, dass Deutschland nie "auf das Recht der
Rückkehr der vertriebenen Deutschen in ihre Heimat verzichten" wird. Ideengeber
für die Schrift waren der frühere SS-Obergruppenführer Franz Alfred Six, der
Ex-Reichskommissar für Dänemark Werner Best, der ehemalige Starkommentator im
Nazi-Rundfunk Hans Fritsche - und Werner Naumann.
Der Vorstoß scheiterte
zwar knapp, doch Middelhauve verließ Bad Ems trotzdem als Sieger: Er hatte sich
das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden erkämpft, den einstigen
NS-Ministerialrat Wolfgang Diewerge zu seinem Sekretär erkoren und seiner Partei
eine "Pflicht nach rechts" verordnet. Ziel dieses Rechtsrucks war nach
Middelhauve die Bildung einer "nationalen Sammlung" aller Kräfte rechts von der
Union. Doch diesem Plan kamen die Briten mit ihren Verhaftungen zuvor. In
letzter Sekunde.
Denn schon wenige Monate später sollten die Alliierten
mit der deutschen Bundesregierung die Pariser Verträge über die westdeutsche
Souveränität abschließen - und hätten dann kaum noch in innerdeutsche
Angelegenheiten eingreifen können. So hatte der britische Oberkommissar in
Westdeutschland Kanzler Adenauer im letzten Moment vor der Peinlichkeit bewahrt,
ausgerechnet in den Reihen des Koalitionspartners gegen Altnazis vorgehen zu
müssen.
Zustrom rechtsradikaler Elemente Während
Adenauer froh war, dass die Nazi-Zelle kurz vor der wichtigen Bundestagswahl
ausgelöscht war, verlegte sich die FDP-Spitze auf empörtes Protestieren: Zwar
erklärten einige Parteimitglieder "ernste Besorgnis über den Zustrom
rechtsradikaler Elemente", doch der liberale Justizminister Thomas Dehler etwa
mäkelte, dass Unternehmen dieser Art "eigentlich den Deutschen vorbehalten
bleiben sollten". Ausgerechnet FDP-Vize Middelhauve stritt in der "Frankfurter
Allgemeinen Zeitung" sogar jede Verbindung seiner Partei zu rechten Kräften ab
und forderte eine "eingehende Klärung" der Vorgänge.
Erst Ende März 1953
änderte sich die Haltung vieler FDP-Spitzenpolitiker. Minister Dehler räumte nun
die Existenz der "Keimzelle eines wiedererstehenden Nationalsozialismus" ein,
der Bundestags-Fraktionschef Hermann Schäfer bezeichnete die
Naumann-Verschwörung Anfang April als den Versuch "einer Art von
Machtübernahme". Und Kanzler Konrad Adenauer erklärte vor dem Bundesvorstand der
Union, er würde Naumann am liebsten "wegen Hochverrats verurteilen". Doch für
die Vergangenheit der Verhafteten, ihre Motive und politischen Ziele
interessierte sich dennoch kaum jemand - und auch personelle Konsequenzen
blieben weitgehend aus.
So behielt Friedrich Middelhauve seinen Posten
als Parteichef in Düsseldorf, die Karriere Ernst Achenbachs gipfelte im Amt des
FDP-Fraktionsvizes im Bundestag und als Abgeordneter im Europäischen Parlament.
Glimpflich endete der Skandal auch für dessen Verursacher: Werner Naumann durfte
schon im Juli 1953 das Untersuchungsgefängnis verlassen.
Die zuständigen
Richter am Bundesgerichtshof ließen die Hauptverhandlung gegen Rädelsführer
Naumann gar nicht erst zu und stellten das Verfahren gegen den Gauleiter-Kreis
im Dezember 1954 ganz ein. Ihre Begründung: Das Ziel der "Wiedererrichtung eines
nationalsozialistischen Führerstaats" käme in den Äußerungen der Angeschuldigten
"nirgends deutlich zum Ausdruck".
Peter Maxwill
Zum
Weiterlesen:Kristian Buchna: "Nationale Sammlung an Rhein und
Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945-1953".
Oldenbourg Verlag, München 2010, 248 Seiten.21.01.2013
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