Der Bericht war spröde formuliert, doch sein Inhalt war explosiv. Nach Erkenntnissen der britischen Besatzungsbehörden gab es in Westdeutschland eine Verschwörung gegen den Staat und die alliierte Autorität im Land - so stand es in dem amtlichen Kommuniqué aus London, das die deutsche Öffentlichkeit am 15. Januar 1953 überraschte. Demnach planten die "Rädelsführer" einer Gruppe hochrangiger Altnazis einen radikalen Umsturz - mit noch radikalerem Ziel: die "Wiederergreifung der Macht in Westdeutschland".
Der Sensationsmeldung war in der Nacht zuvor eine Welle von Verhaftungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in der britischen Zone vorausgegangen: In Hamburg, Solingen und Düsseldorf hatten britische Sicherheitsoffiziere ein halbes Dutzend Politiker verhaftet und lastwagenweise Aktenmaterial aus ihren Wohnungen abtransportiert. Die Häftlinge, die ins alliierte Militärgefängnis nach Werl gebracht wurden, hatten eines gemeinsam: Noch wenige Jahre zuvor waren sie hochrangige Nazi-Funktionäre gewesen - jetzt agierten sie als Mitglieder der in Bonn mitregierenden FDP.
Es war einer der spektakulärsten Unterwanderungsversuche in der deutschen Nachkriegsgeschichte, den die Briten in dieser Winternacht zerschlagen hatten. Denn die Liste der Verhafteten beinhaltete ausnahmslos Ex-Nazi-Funktionäre. Von denen hatte die FDP in den Jahren zuvor viele bereitwillig in ihren Reihen aufgenommen, bis der rechte Parteiflügel schließlich enorm stark war. So stark, dass eine kleine Zelle von Verschwörern beschloss, erst die Partei zu kapern - und dann die Republik.
Pseudoliberales Nazi-Netzwerk
Auch wenn viele ehemalige Funktionäre des NS-Staates auch in anderen Parteien oder hohen Ämtern der Justiz und Verwaltung unterkommen konnten, war ein solcher Versuch einmalig. Die Drahtzieher dieses Plans setzten die Briten vor 60 Jahren fest: den sogenannten "Gauleiter-Kreis" in Nordrhein-Westfalen, dessen Geschichte der Historiker Kristian Buchna rekonstruiert hat. Schon am Morgen nach den Verhaftungen veröffentlichten die Briten eine Liste, in der sie die braune Vergangenheit ihrer Häftlinge fein säuberlich aufgeschlüsselt hatten - und die den Kreis der Verhafteten als Sammelbecken ehemaliger NS-Schreibtischkarrieristen entlarvte. Darunter: Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel, der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann und der Rassenwissenschaftler Heinrich Haselmayer.
Besonders großen Einfluss auf die Gruppe hatte der NRW-Landtagsabgeordnete Ernst Achenbach, der unter Hitler die Deportation französischer Juden in Vernichtungslager mitorganisiert hatte. Er strickte nun an Rhein und Ruhr ein FDP-Netzwerk brauner Kameraden und hatte eigens einen Ausschuss gebildet, um über die liberale Regierungspartei eine Generalamnestie für alle NS-Verbrecher zu erreichen. Anführer der Gruppe war jedoch ein gewisser Werner Naumann, letzter Staatssekretär und rechte Hand von Hitlers Chefpropagandist Joseph Goebbels.
Naumann hatte noch im März 1945 in Propagandareden die Kapitulation vehement abgelehnt und gegen "jüdische Gangster" gewettert. In den letzten Kriegstagen gehörte er zum letzten Führungszirkel des untergehenden Reichs in Berlin, wo er auf Hitlers Wunsch hin das Propagandaministerium übernehmen sollte. Nach dem Krieg tauchte er fünf Jahre lang in Süddeutschland unter, bis ein Amnestiegesetz ihm Anfang 1950 die Rückkehr aus dem Untergrund ermöglichte. Prompt reaktivierte Naumann Hunderte politische Kontakte aus seiner Zeit als Goebbels' Staatssekretär.
"Sie sollen in die FDP eintreten und ihre Führung in die Hand nehmen"
Zusammen mit Ernst Achenbach heckte er daraufhin Pläne für eine erneute "Machtergreifung" aus, denn laut Historiker Wolfgang Wippermann hatten er und seine Mitverschwörer ein ambitioniertes Ziel: die Wiederbelebung Nazideutschlands. Um den Nationalsozialisten "einen Einfluss auf das politische Geschehen zu ermöglichen", so notierte Naumann im August 1950, "sollen sie in die FDP eintreten, sie unterwandern und ihre Führung in die Hand nehmen". Und Naumann hatte dieses Ziel fast erreicht, als er gut zwei Jahre später vor Parteigenossen in Hamburg über seine Pläne schwadronierte: "Ob man eine liberale Partei am Ende in eine NS-Kampftruppe umwandeln kann, möchte ich bezweifeln", sagte er, "wir müssen es aber auf einen Versuch ankommen lassen."
Und sie ließen es darauf ankommen.
Der braune Revolutionsversuch begann am 20. November 1952. Auf dem richtungsweisenden Bundesparteitag der Liberalen in Bad Ems sollte der nordrhein-westfälische FDP-Chef und spätere Verleger Friedrich Middelhauve gegen das moderate "Liberale Manifest" das nationalistische "Deutsche Programm" durchsetzen. Unter anderem enthielt es ein Bekenntnis zum Deutschen Reich, eine Abkehr von den Urteilen der Alliierten, mit denen "unser Soldatentum diskriminiert werden" sollte, und einen Passus, in dem festgestellt wird, dass Deutschland nie "auf das Recht der Rückkehr der vertriebenen Deutschen in ihre Heimat verzichten" wird. Ideengeber für die Schrift waren der frühere SS-Obergruppenführer Franz Alfred Six, der Ex-Reichskommissar für Dänemark Werner Best, der ehemalige Starkommentator im Nazi-Rundfunk Hans Fritsche - und Werner Naumann.
Der Vorstoß scheiterte zwar knapp, doch Middelhauve verließ Bad Ems trotzdem als Sieger: Er hatte sich das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden erkämpft, den einstigen NS-Ministerialrat Wolfgang Diewerge zu seinem Sekretär erkoren und seiner Partei eine "Pflicht nach rechts" verordnet. Ziel dieses Rechtsrucks war nach Middelhauve die Bildung einer "nationalen Sammlung" aller Kräfte rechts von der Union. Doch diesem Plan kamen die Briten mit ihren Verhaftungen zuvor. In letzter Sekunde.
Denn schon wenige Monate später sollten die Alliierten mit der deutschen Bundesregierung die Pariser Verträge über die westdeutsche Souveränität abschließen - und hätten dann kaum noch in innerdeutsche Angelegenheiten eingreifen können. So hatte der britische Oberkommissar in Westdeutschland Kanzler Adenauer im letzten Moment vor der Peinlichkeit bewahrt, ausgerechnet in den Reihen des Koalitionspartners gegen Altnazis vorgehen zu müssen.
Zustrom rechtsradikaler Elemente
Während Adenauer froh war, dass die Nazi-Zelle kurz vor der wichtigen Bundestagswahl ausgelöscht war, verlegte sich die FDP-Spitze auf empörtes Protestieren: Zwar erklärten einige Parteimitglieder "ernste Besorgnis über den Zustrom rechtsradikaler Elemente", doch der liberale Justizminister Thomas Dehler etwa mäkelte, dass Unternehmen dieser Art "eigentlich den Deutschen vorbehalten bleiben sollten". Ausgerechnet FDP-Vize Middelhauve stritt in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sogar jede Verbindung seiner Partei zu rechten Kräften ab und forderte eine "eingehende Klärung" der Vorgänge.
Erst Ende März 1953 änderte sich die Haltung vieler FDP-Spitzenpolitiker. Minister Dehler räumte nun die Existenz der "Keimzelle eines wiedererstehenden Nationalsozialismus" ein, der Bundestags-Fraktionschef Hermann Schäfer bezeichnete die Naumann-Verschwörung Anfang April als den Versuch "einer Art von Machtübernahme". Und Kanzler Konrad Adenauer erklärte vor dem Bundesvorstand der Union, er würde Naumann am liebsten "wegen Hochverrats verurteilen". Doch für die Vergangenheit der Verhafteten, ihre Motive und politischen Ziele interessierte sich dennoch kaum jemand - und auch personelle Konsequenzen blieben weitgehend aus.
So behielt Friedrich Middelhauve seinen Posten als Parteichef in Düsseldorf, die Karriere Ernst Achenbachs gipfelte im Amt des FDP-Fraktionsvizes im Bundestag und als Abgeordneter im Europäischen Parlament. Glimpflich endete der Skandal auch für dessen Verursacher: Werner Naumann durfte schon im Juli 1953 das Untersuchungsgefängnis verlassen.
Die zuständigen Richter am Bundesgerichtshof ließen die Hauptverhandlung gegen Rädelsführer Naumann gar nicht erst zu und stellten das Verfahren gegen den Gauleiter-Kreis im Dezember 1954 ganz ein. Ihre Begründung: Das Ziel der "Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Führerstaats" käme in den Äußerungen der Angeschuldigten "nirgends deutlich zum Ausdruck".
Peter Maxwill Zum Weiterlesen: Kristian Buchna: "Nationale Sammlung an Rhein und Ruhr. Friedrich Middelhauve und die nordrhein-westfälische FDP 1945-1953". Oldenbourg Verlag, München 2010, 248 Seiten.
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